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Biedermeierfreuden

Das „Herrschaftliche Badeetablissement“

Die Erbherrschaft Jever mitsamt der Insel Wangerooge war, nach Kriegswirren, französischer Besetzung und Befreiung durch russische Kosaken, am 18. April 1818 offiziell vom russischen Zaren Alexander I. an seinen Verwandten, Herzog Peter Friedrich Ludwig von Oldenburg (1755-1829) abgetreten worden. So fand auch das bereits 1804 gegrndete Seebad auf der Insel wieder größere Aufmerksamkeit. Die Regierung erkannte noch im gleichen Jahr, daß die Badeanstalt, wenn sie denn einen Sinn haben sollte, gerade auch im Vergleich zur ungleich blühenderen Seebadeanstalt auf der Insel Norderney erheblich verbessert werden müßte. Der Jeveraner Arzt Dr. med. Johann Ludwig Chemnitz (1788-1859) hatte bereits eine Denkschrift vorgelegt, in der Verbesserungen der Einrichtungen des Seebades vorgeschlagen und auf deren Vorteile für das Oldenburger Land hingewiesen wurde.

Die wenigen Badegäste, die bisher auf der Insel weilten, hatten zudem den Wunsch geäußert, daß von oberlicher Hand für ein besseres Unterkommen, Bequemlichkeit, und medizinische Hilfe gesorgt werden möchte. Am 23. April 1819 bewilligte die Regierung in Oldenburg zunächst 5000 Reichsthaler in Gold für den Ausbau der Seebadeanstalt. Unter der Oberaufsicht des Hauptmanns Georg Otto Lasius wurde ein Logierhaus mit 5 Zimmern errichtet, später erweitert auf 8 große und 3 kleinere Zimmer, die neben den veranschlagten 18 – 19 Fremdenzimmern bei den Insulanern und den Zimmern, welche die Vogtei anbieten konnte, die Unterbringung der Badegäste in der ersten „richtigen“ Saison sichern sollte. Zur „Beförderung geselligen Vereines“ entstand am alten Vogtei-Gebäude durch einen Anbau der Kern eines neuen „Conversationshauses“. Dazu betrieb die Regierung die Umwandlung des aus Zerbster Zeiten stammenden Kasernengebäudes in ein Badehaus, das mit zwei Badewannen kalte und warme Seebäder anzubieten vermochte. Darin erhielt zugleich eine vollständige Apotheke ihren Platz, so wie der Badearzt und Apotheker, die sich während der ganzen Badezeit vom 14ten July bis zu Ende August dort aufhalten werden, ihre Wohnungen.

Im Zuge des „Herrschaftlichen Bauwesens“ wurden in den folgenden Jahren eine Reihe weiterer Baumaßnahmen getätigt. 1821 erfolgte die Erweiterung des „Conversationshauses“ durch Saal-Anbauten und drei Zimmer. 1823 befand man das alte Badehaus als seinen Zwecken nicht sehr dienlich und errichtete ein neues mit nunmehr sieben Wannen. Im April 1824 ordnete die Regierung die Verbesserung der Gartenanlagen an; der Garten der Vogtei wurde vergrößert und mit Fußwegen und schattigen Sitzplätzen versehen. Dort entfaltete sich in der Folge ein vielbesuchter „Conversationsgarten“. Das gleiche Jahr steht auch für die Errichtung eines Kchenhauses und einer Wagenremise für drei „Omnibusse“, den hochrädrigen Wattwagen für den Transport der Badegäste von der Rhede in das Dorf. Sodann kam im Frhjahr 1833 der Neubau eines „Logirhauses“ hinzu, „welches eine Reihenfolge von 40 bequem und geschmackvoll eingerichteten Logirzimmern enthält, die mit einem vollständigen Ameublement versehen“ waren. Im Verlauf der folgenden Jahre entstanden endlich noch einige kleinere Gebäude und Pavillons, die vorrangig der Unterhaltung der Badegäste dienten.

Wangerooge, Konversationshaus, Balustrade, Lithographie von Carl Friedrich Voigt, 33,3 × 49 cm, erschienen beim Verlag von Ferdinand Schmidt in Oldenburg, um 1842.

Neben den Neubauten und dem Ausbau bereits vorhandener herrschaftlicher Gebäude und der Wege waren die staatlichen Stellen insbesondere bemüht, durch anregende und fördernde Maßnahmen die wirtschaftliche Lage der Insulaner zu verbessern und Eigeninitiative entwickeln zu helfen. Etliche Verwaltungsmaßnahmen, insbesondere Preis-Taxen, und ein Bade-Reglement der Regierung sollten den Badebetrieb strukturieren, die Stabilität der Mieten und Preise garantieren und eine Übervorteilung sowohl der Insulaner als auch der Badegäste verhindern. Die „Badewirthschaft“ beließ man vorerst in den Händen des Insel-Vogtes.

Mit der Betreuung der „Curgäste“ wurden Dr. Chemnitz, der sich bereits ausgezeichnet hatte, und der Jeversche Hof-Apotheker Dannenberg beauftragt. Dr. Chemnitz wurde darberhinaus 1829, nach der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Großherzog Paul Friedrich August (1783-1853), in die neuformierte „Bade-Direction“ einbezogen. Der Großherzog hatte gleich nach seinem Regierungsantritt auch die Badeanstalt auf Wangerooge in herrschaftliche Verwaltung übernommen, was sich in der Folge als ein großer Segen erwies. Er „liebte fürstliche Repräsentation und äußeren Glanz. Er hat recht eigentlich Wangeroog zu seinem Aufblühen als angesehenes Nordseebad verholfen“. In diesem Sinne der richtige Mann für den Posten des „Badecommissars“ schien dem Großherzog der Geheime Hofrat Westing (1768-1855) aus Oldenburg gewesen zu sein. Zusammen mit seiner Frau Bernhardine Samuele Westing (1794 – 1874) und dem Badearzt Dr. Chemnitz bildete er von 1829 bis 1853 das Direktorium der Seebadeanstalt. Vor allem das Ehepaar Westing, insbesondere die Geheime Hofrätin, haben deren Geschick so fest in Händen gehalten, daß die Blütezeit „Alt-Wangeroogs“ als die „Ära Westing“ in die Annalen der Insel eingegangen ist.

Rund um die Warmbadehäuser und die zeittypischen „Badekutschen“ vollzog sich eine Form des Badens, die noch weitgehend von medizinischen und funktionalen Erwägungen geprägt war. Ganz im Vordergrund des zeitgenössischen Badelebens stand das „Conversationshaus“, in dem Musik, Spiel und Tanz und das gesellschaftliche Leben des Adels und eines aufstrebenden gutbetuchten Bürgertums die eigentlichen Höhepunkte der „Saison“ darstellten.