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Wangerooge zu Kaisers Zeiten

Familienbäder und Sommerfrischen

Neuen Schwung für die Seebadeorte brachten die nach der Reichsgründung 1871 einsetzende Industrialisierung und der Aufstieg des Deutschen Reiches. Sichtbarster Ausdruck der damit möglich gewordenen Ausweitung des Reisens war das Eisenbahnnetz, dessen Ausläufer 1890 die friesländische Küste erreichten. Bedingt durch den wachsenden Zustrom immer neuer Bevölkerungsschichten entwickelte sich jene zunächst noch heftig umstrittene Badekultur, wie sie uns heute noch geläufig ist. Das „Badekostüm“ wurde freizügiger und modischer. Der Strandkorb löste die Badekutsche als Symbol des Strandlebens ab. Die Einführung der Familienbäder unterlief die alte Einteilung des Strandes in Damen- und Herrenbäder. Der Kauf von Souvenirs wurde zum festen Bestandteil der Urlaubs- und Ferienreise, und die Ansichtspostkarte erlebte ihre erste große Zeit. So profitierten die Seebäder auf den Inseln ebenso wie die kleinen Sielhafenorte an den Küsten als „Sommerfrischen“ von der zunehmenden „Reiselust“ der Deutschen.

Die neuen Reisenden mit all ihren unterschiedlichen Reisemotivationen bedingten weitreichende Veränderungen, von denen auch die Seebäder in beträchtlichem Maße erfaßt wurden. Die Beschleunigung der Zuwachsraten im Fremdenverkehr führte nicht nur zu einer tiefgreifenden sozialen Differenzierung der örtlichen Bevölkerung, auch das Ortsbild der größeren Badeorte wandelte sich völlig. Schon der Wiederaufbau des Dorfes Wangerooge nach dem Untergang in den Stürmen der Silvesternacht 1854/55 löste die früheren dörflichen Strukturen auf. Anstelle der alten „Anbauer-Warfhäuser“ traten Neubauten mit stärkerem individuellen Charakter. Die einstmalige Haufensiedlung wich einer strengeren, planmäßigen Aufteilung der Gebäude in Straßenzüge und Blöcke. 1866 wurde mit dem mit 13 Zimmern versehenen Kurhaus das erste Haus im neuen Wangerooge erichtet, das ausschließlich für den Fremdenverkehr bestimmt war. 1874 kaufte eine Aktiengesellschaft dieses „Hotel“ auf und erbaute in unmittelbarer Nähe sechs Holzhäuser mit städtischem Ambiente, die nicht nur mehr Raum für die weitere Entwicklung schufen, sondern erstmals den stilprägenden Einfluß des wachsenden Tourismus zeigten: „Der Typ der städtischgeprägten Villa mit der auf der Südseite des Hauses vorgelagerten Veranda wurde jetzt – vielfach variiert – gebaut“. 1881 änderten sich die Verhältnisse erneut: „Jetzt ist das ganze Etablissement in den Besitz eines Herrn Rösing übergegangen, der dasselbe bedeutend erweitert und aufs bequemste eingerichtet hat. Auch einen schönen Strandpavillion mit großer Veranda hat er erbaut, einen vom Dorfe nach dem Strande führenden Klinkerfußweg angelegt, die Zahl der Badekutschen vermehrt, überhaupt alles gethan, was zur Hebung des Seebades beitragen kann (…)“.

Staatliche Schutzmaßnahmen trugen das Ihrige dazu bei, das Erscheinungsbild der Insel positiv zu ändern. Der immer wieder zerbröselnde Strand wurde durch Buhnen gesichert. Dünenbefestigungen ermöglichten bald eine festere Planzendecke und sogar bescheidenen Baumbewuchs und führten schließlich insgesamt zu einer vielfältigeren Fauna und Flora. Den Anschluá an die Entwicklungen im Tourismusgeschäft wie generell an die expandierenden Strukturen des „Deutschen Reiches“ fanden die Insulaner dann über den direkten Anschluß der Landungsbrücken an das Eisenbahnnetz des Festlands im Jahr 1890. Im Lauf der 1890er Jahre überließ die Verwaltung den privaten Kräften den Hauptanteil an der weiteren Entwicklung. Organisationen wie der Wangerooger „Verschönerungsverein“ sollten das Wirtschaftsleben nun mit eigener Kraft sichern, durch Werbemaßnahmen fördern sowie allgemein auf die steigenden Anforderungen vorbereiten.

Als die Ehefrau Rösing als Eignerin des Kurhauses im Sommer 1896 in Konkurs ging, entzog ihr der Oldenburgische Staat zugleich die Nutzungsrechte am Strand und anderen staatlichen Gütern. 1897 wurde Wangerooge wieder zur selbständigen Gemeinde erklärt und damit zugleich Inhaberin der Baderechte. Eine ihrer folgenreichsten Maßnahmen war die Erhebung einer gesetzlichen Kurtaxe und die Einrichtung eines Kurtaxenfonds, aus dem die allgemeinen Kosten des Bades mitfinanziert werden sollten. Nicht selten weigerten sich die Badegäste zunächst, eine solche Kurtaxe auf Wangerooge zu bezahlen, „wo ja nicht einmal ein Lesezimmer vorhanden (ist), geschweige sonst etwas dafür geboten“ wurde. Die Erhebung einer Kurtaxe setzte so die Gemeinde selbst unter Zugzwang, Einrichtungen zu schaffen, welche eine Beteiligung an den laufenden Kosten des Badebetriebes rechtfertigten. Zu diesen Vorleistungen zählten z. B. „Trinkhallen und Wandelhallen, Kurmittelhäuser, Kurhäuser mit Lese- und Schreibzimmern, Strandanlagen in Seebädern, Parkanlagen, Promenaden und Kurweg, sportliche und gymnastische Einrichtungen, Kurkonzerte, Unterhaltungsveranstaltungen usw. Auch der Badestrand in den Seebädern ist als Veranstaltung im Sinne der Bestimmungen anzusehen“.

Immer neue Bevölkerungsschichten drängten in die Badeorte und machten die Wandlung der Seebäder komplett. Hotelneubauten etwa wurden nicht mehr im Innern der Badeorte errichtet, sondern orientierten sich am und zum Meer. Die Insel Wangerooge trug diesen neuen Entwicklungen Rechnung, indem dort in großem Umfange eine terrassenförmige Planierung der Norddünen vorgenommen wurde. Damit war ein Baugelände geschaffen worden, auf und mit dem sich bald der Aufschwung des Seebades in aller Deutlichkeit präsentierte. Villen mit großstädtischem Flair, Pensionen, kleinere Hotels, Souvenirläden und Geschäfte aller Art säumten bald die neu angelegten Straßen. Am Strand entstand eine Reihe großer mehrstöckiger Hotels, die fortan das Erscheinungsbild der Insel in charakteristischer Weise prägten. Der Strand selbst wurde durch Strandmauern befestigt und von einer Promenade begrenzt. Er war bald der beliebteste Tummelplatz der Badegäste und zeigte die Entwicklung eines regen „Strandlebens“, das schließlich eine ganz neue Note in die eher konservativen Seebäder brachte.